
Brauchen wir wirklich Ziele und wenn ja, warum?
Erst kam die Welle der Selbstoptimierung. Yoga, Slow-Food, Achtsamkeit. Digital-Detox, Motivationskurse und Businessworkshops. Auf einen Trend folgt für gewöhnlich eine Gegenbewegung. Die, die sagt: „Passt auf euch auf! So, wie ihr das macht, ist es auch nicht optimal.“ Im Falle der Selbstoptimierer ging es den besorgten Stimmen darum, dass zu viel Kontrolle über sich selbst, der Wunsch nach Optimierung und das damit verbundene Festlegen von Zielen seelisch krank machen könne. Weil – so die Kurzfassung – wer sich ständig selber optimiere, der liebe sich ja nicht so, wie er ist. Das wiederum könne für die Seele doch nicht gut sein.
Das Problem ist nur, dass sich die meisten Menschen, insbesondere die Selbstoptimierer, an eine Sache gewöhnt haben: sie stecken sich Ziele. Was passiert mit Menschen, denen man ihre Ziele wegnimmt? Oder mit denen, die schlicht keine haben? Sie werden sehr wahrscheinlich kein glückliches Leben führen.
„Wenn du ein glückliches Leben willst, verbinde es mit einem Ziel.“ (Albert Einstein)
Ziele können etwas Wunderbares sein. Egal ob man beschließt, nächstes Wochenende den Tanzkurs zu beginnen oder endlich den Keller komplett leerzuräumen, 20 Neukunden an Land zu ziehen oder mit dem eigenen Blog online zu gehen. Wer sich ein Ziel setzt, der hat eine Idee, eine Vision. Es entstehen Gefühle (in der Regel ist es Vorfreude) und diese Gefühle sind durchaus in der Lage, Berge zu versetzen.
Erreicht man das Ziel, werden Glückshormone ausgeschüttet. Erfolg macht selbstbewusst und fröhlich. Und dabei ist es völlig unwichtig, ob es sich um einen beruflichen oder privaten, großen oder kleinen Erfolg handelt. Erreichen wir das, was wir erreichen wollen, belohnt uns unser Körper mit Glückshormonen. Das stärkt wiederum das Immunsystem, macht uns strahlend und wir wirken positiv auf andere.
Andererseits ist es aber auch so, dass wir sowieso schon in einer Leistungsgesellschaft leben. Der Druck in der Schule, im Studium und später im Beruf ist doch eh schon da. Wer zudem Familie hat, kommt aus dem Abarbeiten von „To-Do´s“ eh nicht raus. Wozu diesen Druck noch verstärken, indem man sich Ziele setzt, die man vielleicht nicht erreichen wird? Kann man nicht einfach so in den Tag leben? Geht es nicht darum, im Moment zu sein? Jeden Tag so zu leben, als wäre er der letzte?
(Die Lehre vieler Yogis und sogenannter „Gelehrter“ aus Asien geht genau in diese Richtung. Man lebt weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft, sondern im Augenblick. Das Leben soll sich selbst entfalten. Von Tag zu Tag auf´ s Neue.)
Wie lässt sich der Alltagsdruck mit dem Setzen von Zielen vereinbaren?
Es ist definitiv wichtig, sich Auszeiten zu gönnen. Phasen, in denen es kein neues Projekt gibt. Kein neues „Halbjahresgoal“ und auch einfach mal kein Vorhaben, à la „ich nehme am nächsten Berlin- Marathon teil“. Den meisten Menschen signalisiert das Leben von selbst, wann eine Pause angebracht ist. Um es platt auszudrücken, wir wissen instinktiv, wann wir einfach nur chillen wollen. Oder müssen. Der Drive geht raus aus dem Kopf, man fühlt sich nicht getrieben, es brennt einem nicht unter den Fingernägeln.
Absolut legitim.
Aber Vorsicht! Es ist wichtig, aus dieser Phase irgendwann wieder auszutreten und sich seinen Stärken und Vorhaben zu widmen.
Eine Aufgabe zu haben, sich ein Ziel zu setzen und den Weg dahin zu beschreiten, dieses Gefühl ist nur sehr schwer durch etwas anderes ersetzbar. Wer kein Ziel im Leben hat, kann nach gewisser Zeit in einen Kreislauf der Demotivation abrutschen.
Was Ziele mit uns machen
Ziele geben uns eine Aufgabe. Aufgaben brauchen wir, weil wir intelligente Wesen sind, die sich ständig weiter entwickeln. Die sich emotional von Anerkennung und Wertschätzung nähren. Schon mal ein Lob bekommen? Oder einen richtig guten Kommentar unter einem Instagram-Post? Das ist Balsam für die Seele. Der Mensch ist nun einmal ein soziales Wesen. Erfolge, Anerkennung und warme Worte sind für unser Seelenleben ungemein wichtig. Kinder werden in ihren ersten Lebensjahren für jeden noch so kleinen Fortschritt gelobt. Ein Krickelkrakel gemalt? Super! Das hast du toll gemacht. Die erste Vokabel auf Englisch gelernt? Wahnsinn, du bist soooo begabt Raffael! Was passiert? Kinder wachsen, sie wollen immer mehr lernen. Sie werden zu kleinen, selbstbewussten Persönlichkeiten. Wir sind darauf programmiert, etwas zu tun zu haben und hierüber mit unserem Umfeld in Kontakt zu treten. Fällt dieses „etwas zu tun haben“ im Erwachsenenleben plötzlich weg, kann die Seele verkümmern.
Außerdem ist es so, dass wir mit einem Ziel vor Augen das Gefühl haben, unser Leben selbst zu gestalten.
„Der ziellose Mensch erleidet sein Schicksal, der zielbewusste gestaltet es.“ (Immanuel Kant)
Im Berufsleben merken wir das relativ schnell, nämlich immer dann, wenn wir eine Zeit lang nur stupide abarbeiten, aber nichts wirklich reißen. Irgendwann wird’s langweilig. Aus der Langeweile kann Lustlosigkeit werden. Bleibt dann noch die zwischenmenschliche Interaktion aus, z.B. ein positives Feedbackgespräch, ein Lob des Chefs oder der Kollegin, dann können wir ganz schnell ziemlich traurig werden. Wer jetzt ein Privatleben hat, das einen voll in Anspruch nimmt, wird diese Demotivation vermutlich bis zum nächsten Arbeitstag überbrücken können. Wer im Privatleben aber auch nichts zu verfolgen hat außer Haushalt und mit Oma telefonieren, für den kann es kritisch werden.
Man kommt dann schon gelangweilt von der Arbeit nach Hause und zu Hause langweilt man sich weiter.
„Ziele sind unser innerer Antrieb. Das Schmieröl des Alltags. Setz dir ein Ziel, das dich zum Leuchten bringt. Such dir eine harte Nuss, die du persönlich knacken willst und du wirst sehen, es steht sich morgens so viel leichter auf!“ (Vida Jung)
Wie setzt man sich Ziele?
Wie möchte ich mich fühlen? In meinem Leben, in meinem Herzen? Was bringt mich zum Leuchten?
Stellt euch diese Fragen und es werden sich automatisch Bilder vor euren Augen auftun. Insgeheim weiß jeder, wo sein Herz schlägt. Wir hören nur zu selten hin. Haltet diese Bilder schriftlich fest, macht euch eine Liste mit den Dingen, die euch zum Leuchten bringen, Momente, bei denen ihr im Flow seid. Diese Liste ist wichtig, denn schriftlich festgehaltene Gedanken klären den Kopf. Zweiter Schritt: wenn ihr planlos seid und nicht wisst, wohin mit euch, setzt euch Ziele, die in Richtung eurer Herzensmomente gehen. Es können große Ziele sein, wie etwa ein Sabbatical. Eine eigene Modekollektion entwerfen. Eine Yoga-Ausbildung absolvieren. Ein Waisenhaus unterstützen. Völlig egal. Findet ihr das zu hoch gegriffen? Lieber kleine Etappenziele, bloß nicht wild werden?
Von großen und kleinen Zielen
Ja, es gibt immer wieder Stimmen die behaupten, das Setzen großer Ziele sei unfair sich selbst gegenüber und demotivierend. Dass es auch um Realisierbarkeiten gehen müsse. Steht ein berufliches Ziel zu Debatte, dürfe auch der Profit nicht vergessen werden! Denn die tollkühnsten Berufsziele nützen nichts, wenn ich mich verschulde und der Kühlschrank leer ist. Völlig richtig!
Andere Stimmen sagen jedoch, Ziele können niemals zu groß sein. Denn du weißt doch noch gar nicht, welche Wege sich dir eröffnen. Welche Begegnungen dir das Erreichen deines riesigen Zieles erleichtern könnten. Hör doch auf, dich klein zu machen! Natürlich brauchst du was zum Futtern im Kühlschrank. Natürlich sollst du nicht Omas Rente auf den Kopf hauen und dich dumm verhalten, um endlich die eigene Taschenkollektion auf den Markt zu bringen. Aber: sich große Ziele zu setzen bedeutet nicht, sich dumm zu verhalten!
Große Ziele lassen sich ganz wunderbar planen, hört bloß nicht auf die Traumdiebe da draußen (zum Thema Traumdiebe, Realismus und Wagemut wird es einen gesonderten Artikel geben). Das einzige, was einem einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist das Leben selbst.
Aber zunächst einmal präferiere ich persönlich den Weg der großen Ziele, gewürzt mit einer Prise Planung und die geht so:
S-M-A-R-T
Die Smart-Technik (habe ich mir nicht ausgedacht und hat auch nichts mit dem Auto zu tun) kann es uns erleichtern, Ziele festzulegen und auch zu erreichen. Damit unsere „harte Nuss“ Spaß macht und nicht in Frust ausartet, sollten Ziele folgendes sein:
S – Spezifisch: man könnte auch „unverwechselbar“ sagen.
M – Messbar: legt einen messbaren Grad ein, den ihr erreichen wollt. Wenn es um Geld geht, eine exakte Summe. Wenn es um einen Urlaub geht, dessen Dauer und das Ziel. Ihr möchtet ein Buch schreiben? Wie oft soll es sich verkaufen? Du möchtest abnehmen? Wie viele Kilos sollen es sein? Dieser Punkt ist in der Planung entscheidend, denn er macht aus bloßen Wünschen konkrete Ziele.
A – Attraktiv: dein Ziel solltest du schon geil finden. Nicht nur so lala. Gänsehaut muss am Start sein, wenn du daran denkst.
R – Realistisch: vs. Traumdiebe, s.o. Realistisch bedeutet nicht, dass das Ziel klein sein soll. Realistisch bedeutet für mich nach meinem Verständnis, dass es nach dem jetzigen Stand der Forschung, der Entwicklung und dem Leben auf diesem Planeten „da sein kann“. Außerdem sollte das Ziel zu uns und unserem Leben passen. Wenn Sie fünf Kinder haben und beschließen, im nächsten Jahr als digitale Nomadin durch Asien reisen zu wollen, dann könnte ihr aktueller Lebensentwurf dem gesetzten Ziel diametral entgegenstehen. Klar, alles ist irgendwie realisierbar. Fragt sich nur, auf wessen Kosten, s.o. Wenn du nur 160cm klein bist, so wie ich, dann ist es wundervoll, wenn du deinen Kindheitstraum nachholen und Ballett tanzen lernen willst. Wenn du dir jetzt aber im Wege der SMART-Methode das Ziel steckst, im Jahr 2022 für das Russische Staatsballett tanzen zu wollen, dann könnten auch hier die tatsächlichen Gegebenheiten dem gesteckten Ziel per se entgegenstehen.
T – Terminiert: unbedingt einen Termin setzen, bis wann du dein Ziel erreicht haben willst. Das ist für deinen inneren Kompass so wichtig. Kleine und mittelgroße Ziele dürfen ruhig eng terminiert werden. Wer größeres vorhat, sollte sein eigenes Leben gut betrachten und sorgfältig planen, in welchem Zeitfenster das Erreichen des Zieles „realistisch“ ist. Ziehen Sie von dem Ergebnis dann einfach drei Monate ab, dann haben Sie Ihr Zieldatum.
Die hier dargestellte SMART-Methode ist nur einer von vielen Ansätzen im Zielemanagement. Über das Thema „Ziele“ wurden schon Bücher gefüllt. Es gibt Seminare zum Zielemanagement und Workshops zum Feintuning. Die meisten Menschen überfordert es allerdings schon zu wissen, was sie überhaupt wollen. Zu wissen, was man will, ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben im Leben.
Wie soll man sich dann noch Ziele setzen? Berechtigte Frage. Wie ihr wisst, verlinke ich keine Bücher, das hier ist kein Werbeblog. Allerdings gibt es zu diesem Thema sehr gute Literatur aus dem Bereich Motivation, Selbsthilfe und Spirituelles, die ich an dieser Stelle eigentlich nicht vorenthalten möchte.
Gebt einfach in euren Bücher-Onlineshop „Ziele erreichen“ ein. Man muss selbst schauen, was einem gefällt. Die Message und Umsetzung im Zielemanagement ist am Ende immer die gleiche, egal ob es sich nun SMART-Methode oder Clear-Ansatz nennt. Beruhigend, oder?
Außerdem gibt es für den seichten Einstieg in dieses Thema einen Klassiker aus dem Bereich „Selbsthilfe“, das Buch „Das Café am Rande der Welt.“ Wer sich auf den Erzählstil einlassen kann, wird mehr als nur einen Aha-Effekt erleben.
Warum uns Ziele auf der Arbeit frustrieren können
Weil sie zu oft nicht unsere eigenen Ziele sind, sondern die, eines anderen. Oder weil wir das Ziel des Chefs nicht zu „unserem“ gemacht haben. Kleiner Tipp für Chefs: das Ziel der Company muss im Herzen des Teams ankommen. Dies lässt sich mit Ansehen, Lob, Benefits, einer Teamreise, Events, der Karriereleiter u.v.m. erreichen. Mitarbeiter, die kein Ziel vor Augen haben, arbeiten nach Schema F. Der Kreislauf der Demotivation nimmt seinen Lauf, s.o.
Was mache ich mit Zielen, die ich nicht erreiche?
Ziel nicht erreicht? Was tun?
Überhaupt kein Drama! Sehr oft haben wir eine Idee, die wir anfangen, aber nicht voranbringen. Sie kann scheitern oder sich als Luftnummer herausstellen. Ich persönlich habe aufgehört, mich selbst dafür zu strafen, wenn etwas mal nicht so klappt, wie vorgestellt. Dann war das eben ein Testballon meines Lebens, den ich habe steigen lassen. Er ist geplatzt? Kein Problem, eine Idee und ein To-Do weniger auf meiner Liste (Danke an den Autor Martin Krengel für dieses Bild des Testballons, es hat mir schon oft die Last von den Schultern genommen).
Das einzige, was ich von mir selbst einfordere, ist Ehrlichkeit. Ist das Projekt gescheitert, weil ich faul war? Weil ich nur halbherzig dabei war und es nicht wirklich wollte? Wenn ja, weiß ich es für´ s nächste Mal besser.
Auch wichtig zu wissen: es gibt einen Unterschied zwischen einem verfehlten Ziel und einem Projekt, das man einfach abbricht! Der Unterschied ist sehr fein und sehr oft im Leben stehen wir vor der Frage: „Breche ich hier ab, oder ziehe ich das durch?“ Zu dieser Frage wird es einen gesonderten Beitrag geben. Der Unterschied ist folgender: das nicht erreichte Ziel ist bereits verfehlt. Das Ziel, welches nach der SMART-Formel gesetzt wurde, kann von mir selbst nicht mehr erreicht werden. Das abgebrochene Projekt hingegen wird unvollendet aufgegeben. Das Ziel wäre sehr wohl noch zu erreichen gewesen.
Ziele können verfehlt werden. Kein Ding. Und um dieses Thema mit dem passenden Zitat abzuschließen:
„Wenn du verlierst, verliere die Lektion nicht.“ (Napoleon Hill)
Was sind eure Erfahrungen? Braucht ihr regelmäßig neue Ziele im Leben, um zufriedener zu sein? Oder kann man das auch anders sehen? Wenn ja, wie lebt es sich ohne Ziele?
Love, Vida.
Check
Im Sport steht das Ziel für das Ende der Wettkampfstrecke. Das Handeln des Sportlers ist darauf ganz bewusst gerichtet. Das Wort stammt vermutlich aus dem Mittelhochdeutsch und wurde auch verwendet um etwas „Eingeteiltes“ oder „Abgemessenes“ festzulegen.
Wer sich das bewusst macht, erkennt schnell, weshalb sich bloße Wünsche von Zielen unterscheiden und warum es für das Erreichen eines Zieles so wichtig ist, sich auf das Ziel zu konzentrieren, es einzuteilen und festzulegen („abmessen“).
Foto: (c) Vida Jung. Seiseralm.