Neulich, Samstagabend in Berlin. Mein Mann und ich wollten ausgehen, hatten Tickets für eine der „besonderen“ Partys in Berlin und ja, wir wussten, dass es voll wird…
Dass wir letztlich 2,5 Stunden anstehen mussten, um einen Club zu besuchen, damit hat niemand gerechnet. Und während wir dort standen, entspann sich um uns herum eine interessante Diskussion: wie viel Zeit geben wir der Sache? Denn eines hatten wir alle in dem Moment gemeinsam: die Zeit, die verstrich und die Nacht, die kontinuierlich an uns vorüber zog.
Es war also Samstagabend. Um 22.30 Uhr stand ich bestens gelaunt im Bad und puderte mich ein, um in mein neues Latexdress zu „schlüpfen“ (jeder der Latex trägt weiß, das hat nicht viel mit hineinschlüpfen zu tun, aber das ist ein anderes Thema). Der Weißwein erfrischte und belebte zugleich und um kurz nach 23:00 Uhr stand der Fahrer vor der Tür. Der 10. Geburtstag einer besonderen Partyreihe wartete auf uns. Die Tickets hatten wir vorsorglich bereits online gekauft, in der Hoffnung, damit eine Fast-Lane erwischen zu können. Ein Fehler, wie sich später noch herausstellen sollte.
Wir fuhren durch die Nacht, milde 19° c zeigte das Thermometer an. Immerhin. Trotzdem hatte ich mich in einen schwarzen Trenchcoat gehüllt. Als wir auf die Brücke am Spittelmarkt zufuhren, konnte ich sie bereits sehen: die längste Schlange, die ich je vor einem Berliner Club (!) gesehen habe. Die Laune rutschte kurz in den Keller, erholte sich jedoch mit den üblichen Floskeln à la „das geht bestimmt schneller, als man denkt“ und „das sieht schlimmer aus, als es ist“ einigermaßen schnell. Und so standen wir an. Die Schlange hinter uns wurde immer länger. Vorne tat sich leider auch nach 40 Minuten Wartezeit rein gar nichts, denn immer mehr Menschen strömten von der Seite heran, schummelten sich vor oder kannten XYZ und gesellten sich in der Schlange dazu.
Nach 1,5 Stunden kannte man sich im Radius von 1,5 Meter vor und zurück mittlerweile gut und alle waren sich einig: laut Hochrechnungen brauchen wir noch mindestens weitere 60 Minuten, um die Tür zu sehen. Einige gaben auf. Andere harrten aus. Wir auch. Denn zum einen hatten wir bereits 50,00 Euro in Tickets investiert, die Nacht war weit fortgeschritten, die Outfits gewählt – was hätten wir mit dieser angebrochenen Erfahrung tun sollen? Uns ins Bett legen, die Decke anschmollen und mit dem Gefühl, etwas nicht zu Ende gebracht zu haben, in den Sonntag starten? Das ist nicht unsere Art.
Gleichzeitig wurde berechtigt die Frage aufgeworfen: wann ist es an der Zeit, ein Vorhaben fallen zu lassen? Wann muss man den Escape-Button drücken, um nicht noch mehr Zeit, Geld, Ambitionen oder Hoffnungen in etwas zu investieren, das am Ende in einer Enttäuschung enden kann?
Denn eines ist klar: die Uhr des Lebens tickt. Die Zeit in dieser Berliner Nacht zerfloss vor uns, zog an uns vorbei wie die unzähligen Uber-Fahrer, die immer mehr Menschen absetzten, ohne dass wir im Gegenzug etwas dafür zurück erhielten.
Nach insgesamt 2,5 Stunden waren wir am Ziel. Die Security- und Einlasssituation war schlicht unprofessionell organisiert, außerdem haben sich zu viele Menschen vorgedrängelt, dadurch die extrem lange Wartezeit – selbst für einen begehrten Berliner Club!
Und dann? Wurden wir positiv überrascht, haben die Nacht zum Tage gemacht und können nun sagen, dass war die beste Nacht unserer Lebens? Gab es eine Belohnung für unseren Einsatz?
Leider nein. Oder eher ein Jein? Für uns war es richtig, es durchgezogen zu haben! Ein Abbruch hätte sich falsch angefühlt.
Einerseits könnte man sagen, von einem toten Pferd soll man absteigen, seine kostbare Zeit auf diesem Planeten nicht mit schlechten Filmen, der Zeit in der Warteschleife oder beim Fensterputzen verbringen.
In der Fachliteratur wird das auch „die hohe Fertigkeit des Korrigierens“ bezeichnet. Der Autor Rolf Dobelli etwa führt hierzu in seinem Werk „Die Kunst des guten Lebens“ aus, dass es zur mentalen Buchhaltung gehöre, zu wissen, seinem Leben die Korrekturhinweise zu geben, um von einem „Ist-Zustand“ in einen „Soll-Zustand“ zu navigieren. Das gute Leben gelinge nur durch ständiges Nachjustieren, was von den meisten Menschen jedoch eher als unangenehm empfunden wird, da wir „Korrekturen“ oft mit „Versagen“ verbinden. In der Regel sind Pläne jedoch obsolet, das Leben macht, was es will.
Andererseits besteht die Gefahr, dass einem Erfahrungen und Momente des Lebens versperrt bleiben, wenn man es sich zur Angewohnheit macht, Dinge (vorschnell) abzubrechen oder gar nicht erst anzufangen, weil sie unbequem erscheinen.
Der Club an sich, die Location und das Konzept waren eine extreme Erfahrung und ich hätte diese gerne ohne die Eindrücke zuvor in mich aufgesogen. Doch unsere Stimmung war nicht mehr gut genug, um die Party des Jahrhunderts zu feiern. Gleichwohl sind wir mit dem Gefühl ins Bett gegangen, es „gesehen“ zu haben. Es vollendet und durchgezogen zu haben. Und dieses Gefühl war – so absurd es auch klingen mag – sehr befriedigend. Und befreiend. Denn wir werden uns niemals, auch nicht in 20 Jahren, die Frage stellen: „Erinnerst du dich? Diese eine Nacht? Was meinst du, hätten wir nicht doch durchziehen sollen?“
Es kommt vielleicht darauf an, um was es geht. Wir wollten unbedingt auf diese Party und haben die Strapazen deswegen auf uns genommen.
Gegenbeispiel: ich bin schon 3x nach dem ersten Akt, also während der Pause, aus schlechten Theaterstücken und Musicals geflohen!!! Die Tickets hatte ich geschenkt bekommen, ich bin grundsätzlich kein Fan des Theaters und es klang einfach viel verlockender, den Rest des Abends mit einer YumYum-Suppe auf dem Schoß vor dem Fernseher bei „Buffy, die Vampirjägerin“ zu verbringen, als jaulenden Katzen auf einer Bühne.
In diesem Sinne: worum geht es bei euch?
Brecht nicht vorschnell ab, aber reitet das Pferd auch nicht zu Tode.
Ich freue mich über eure Kommentare und Erfahrungen dazu. Hättet ihr 2,5 Stunden angestanden?
Love, V I D A
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