
Zwischen schlagfertig und frech verläuft eine sehr feine Linie. Gerade im Job ist es äußerst gefährlich, diese nicht zu kennen. Nicht auf den Mund gefallen und dennoch professionell zu bleiben, ist ein Handwerk, das ich mit Ende 20 erst wieder erlernen musste.
Es ist Januar. Mein Mann und ich sitzen abends auf dem Sofa und schauen Nachrichten, da platzt es aus mir heraus:
„Sehe ich aus wie eine Bockwurst, oder warum musst du jetzt deinen Senf dazu geben?!“
Mein Mann guckt mich an. Stutzt und sagt:
„War das eine deiner Trockenübungen?“
Ich muss lachen. Ja, es war eine Trockenübung in Sachen Schlagfertigkeit. Die mache ich hin und wieder, um in echten Situationen mutig und gewappnet zu sein.
Denn vor einiger Zeit ist mir meine Schlagfertigkeit abhanden gekommen. Einfach so hatte ich sie verloren, wie einen Stock oder einen Hut. Man merkt es ja nicht hat sofort, wenn einem die Schlagfertigkeit fehlt. In Situation 1 denkt man vielleicht noch, man hätte einfach nicht geantwortet. In Situation 2 stutzt man schon, schaut kurz in sich hinein und beschließt, das im Auge zu behalten. So ging es mir jedenfalls. Ich weiß nicht mehr genau wann, aber seit dem Einstieg in das Berufsleben habe ich zunehmend beobachtet, in verschiedenen Situationen von Sprachlosigkeit übermannt zu werden. Und das ist für mich ungewöhnlich, denn auf den Mund gefallen war ich eigentlich nie, ganz im Gegenteil.
Schon
als Kind war ich sprachlich gut drauf. Sehr früh konnte ich Gedichte aufsagen,
ich war flink im Kopf und hatte – trotz guter Erziehung – ein lockeres
Mundwerk. Nicht umsonst hieß es öfters mal, ich dürfe nicht so frech sein. In
der Schule und im Studium hatte ich nie Probleme, mich zu behaupten. Aber mit
dem Berufseinstieg als junge Anwältin, also mit Ende 20, begegneten mir immer
wieder Situationen, auf die ich nichts erwidern konnte. Und das als Anwältin! Für
mich selbst eine völlig neue und unverständliche Situation.
Nach dem Rechtsreferendariat ergatterte ich einen Job in einer Berliner
Kanzlei. Einer meiner ersten Fälle war ein Defekt an einer Kaufsache. Ein
Klassiker, rechtlich auf einer Arschbacke zu machen. Der Mandant war ein
uralter Architekt, ein Herr der alten Schule, gesegnet mit dem Wissen der
Menschheit und sehr viel Lebenserfahrung. Eines Tages stattete er der Kanzlei einen
unangekündigten Besuch ab, um über seinen „Fall“ zu sprechen. Nun war
es so, dass mir die Akte vor wenigen Tagen zur Bearbeitung übertragen worden
war und ich den Mandanten noch gar nicht kannte. Mein Vorgesetzter war nicht da,
also schickte man mich zum Mandanten ins Besprechungszimmer. Ich stellte mich
kurz vor und wollte gerade beginnen, einen Vorschlag zur Vorgehensweise in
Sachen „Akte“ zu unterbreiten, als der Greis mich unterbrach.
„Kommt der Chef noch?“
„Nein. Herr Müngelwang ist heute leider nicht im Hause“, erklärte ich.
„Hm.“
„Ich bearbeite Ihren Fall, wir können das gerne gemeinsam besprechen.“
„Sind Sie hier, wie sagt man, Referendarin? Noch in der Ausbildung?“
Überraschung!
Darauf lief das Gespräch also hinaus. Meine Kompetenz wurde in Frage gestellt.
Dass mich solch eine Situation zu Beginn meiner Anwaltskarriere erwarten würde,
das war mir klar, schließlich bin ich nicht naiv. Blond, blauäugig, jung
(jünger, als andere Berufsanfänger in dieser Branche), ich musste mich nicht
zum ersten Mal für mein jugendliches Aussehen rechtfertigen. Mir war damals jedoch
nicht klar, dass es ein Mandant mit einer pippifax-Akte sein würde, der mir mit
solch einer Skepsis begegnen würde. Ich hätte eher gedacht, mich vor eingesessenen
Kollegen oder vor Kollegen auf der Gegenseite behaupten zu müssen. Ich lächelte
(freundlich-konsequent) und stellte klar:
„Nein, ich bin keine Referendarin. Ich bin seit circa drei Wochen Rechtsanwältin
in dieser Kanzlei.“
„Dann kennen Sie die Welt noch nicht. Ich möchte mit Herrn Müngelwang
sprechen.“
Da ploppte sie auf, schlängelte sich durch den Raum wie ein silberner Faden.
Sie schwebte in der Luft, schlängelte sich über dem gläsernen
Besprechungstisch, zog ihre Runde vorbei an dicken juristischen Lehrbänden, an
riesigen Ölgemälden, schwebte über uns und ermahnte mich, Acht zu geben. Die
feine Linie zwischen respektlos und schlagfertig. Plötzlich war sie da. Mir
wurde bewusst, die Schulzeit ist vorbei. Du bist auch nicht mehr in der Uni. Du
kannst jetzt nicht sagen, was dir auf der Zunge liegt.
Andererseits: vielleicht doch? Ist nicht genau das der Moment, um klare Kante zu zeigen? Vor meinem ersten Mandanten? Ich nickte dem silbernen Faden vor mir unmerklich zu. Mir fehlten die Worte. Ich konnte diese feine Linie zwischen frech und schlagfertig nicht zu meinem Vorteil nutzen. Alles, was ich zu sagen hatte, hätte nicht den richtigen Ton getroffen. Ich wollte professionell bleiben. Mir fiel nichts Passendes ein. Ich biss mir auf die Zunge, um weder meine Contenance, noch meinen Job zu verlieren. Und um ehrlich zu sein: verdammter Mist, mir ist auch Tage später nichts eingefallen, was ich hätte erwidern können. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie das Gespräch ausgegangen ist. Vermutlich sagte ich etwas wie: „Sie können gerne im Sekretariat einen Gesprächstermin vereinbaren“, oder ähnlich. Die Sache mit dem Greis und mir ist übrigens gut ausgegangen. Nach einiger Zeit war ich seine Lieblingsanwältin. Seine pippifax-Akten landeten wie durch Zauberhand immer auf meinem Tisch und er betonte bei jedem Telefonat (wir telefonierten fast täglich), welch freundliche Stimme ich hätte.
So, das tut in Sachen „Schlagfertigkeit“ nichts zur Sache, festzuhalten bleibt (*irgs*, auch ein Anwaltsspruch), dass es im Laufe der Zeit immer wieder zu Situationen gekommen ist, bei denen ich überraschend sprachlos zurückblieb. Ich beobachtete mich in diesen Situationen selbst, als würde ich neben mir stehen und sagen:
„Hallo Vida, ist da jemand zu Hause? Sag doch was, du bist doch nicht dumm!“
„Ich weiß gerade nicht was. Ich muss das erstmal sacken lassen.“
„Na, dann lass mal sacken. Nach vier Sekunden ist das Zeitfenster für eine schlagfertige Antwort allerdings verstrichen. Wenn du später antwortest, könnte man meinen, du wärst dumm.“
„Ich weiß.“
Eines Nachmittags musste ich für einen Mandanten einen Reisemangel rügen. Ich wusste, dass der Reiseveranstalter ein spezielles Verfahren inklusive vorgefertigter Formulare bereitstellte, ohne Nutzung der Formulare dauerte das Verfahren für gewöhnlich doppelt so lange. Ich konnte die Formulare durch reine Internetrecherche nicht finden. Ich wusste aber, dass ein Kollege in einem anderen Fall erfolgreich gegen den Reiseveranstalter geklagt hatte. Als wir uns zufällig in der Teeküche begegneten, kam ich auf die Sache zurück:
„Du Paul, ich habe grad den TravelTravel- Fall auf dem Tisch. Weißt du noch, wie das mit den Formularen ablief?“, fragte ich völlig unbedarft, rührte etwas Zucker in meinen Kaffee und nippte an der Tasse. Paul drückte die „Espresso“-Taste an der Maschine und während sein „Tässchen“ mit feinstem Arabica gefüllt wurde, drehte er sich zu mir um.
„Du hast doch studiert, oder? Das kriegst du schon selber raus“, sprachs, grinste breit wie eine stupide Grinsekatze, griff nach 1-2 Sekunden des Schweigens sein Tässchen und marschierte davon.
Ich hatte das Zeitfenster verpasst. Ich hatte es verpasst, weil ich überrascht wurde. Mit solch einer unkollegialen Antwort hatte ich schlicht nicht gerechnet. Ich stand in der winzig kleinen Teeküche und schwitzte in meine neue Seidenbluse. Ungläubig schaute ich nach links, schnaubte, schaute nach rechts, runzelte meine Stirn (ist das wirklich grad passiert?) und dachte nur, Paul du Loch. Was für ein dämlich grinsender, unhöflicher Mensch du also bist. Als der Kaffeevollautomat Wasser durchlaufen lies, um sich selbst zu reinigen, straffte ich die Schultern und stöckelte davon. Arschloch hin oder her, natürlich bekomme ich das alleine raus, du Horst! Auf in den Kampf mit dem Reiseveranstalter.
So ging das etwa zwei Jahre lang, ich ärgerte mich immer wieder über mich selbst, bis ich die Zeit und Muße fand, an mir und diesem Thema zu arbeiten.
Weihnachten in New York. Pancakes zum Frühstück, Eislaufen am Bryant Park, der Weihnachtsmarkt am Central Park. Vor dem Abenteuer stand ein achtstündiger Flug von Tegel nach JFK auf dem Programm. Ich beschloss schon im Vorfeld der Reise, das Boardprogramm links liegen zu lassen und mich mit einem Hörbuch dem Thema „Schlagfertigkeit“ zu widmen. Was soll ich sagen, die Zeit verging wie im Fluge. Die Autorin des Bestsellers, den es übrigens auch in Buchform gibt, widmet sich dem Thema schnell, strukturiert, mit guten Beispielen und konkreten Lösungsmodellen, anhand derer sich Spontanäußerungen auf so ziemlich jede Situation übertragen lassen. Wieder zu Hause, notierte ich die Übungen bzw. die Vorschläge des Ratgebers stichpunktartig auf meiner Schreibtischunterlage. Meine neu entdeckte Schlagfertigkeit hatte ich so Tag für Tag vor Augen. Das einzige, was jetzt noch fehlte, war ein Trainingsmoment (der Ratgeber hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Schlagfertigkeit natürlich auch etwas mit Mut zu tun hat, den Satz, der einem einfällt, auch auszusprechen. Darin sah ich bei mir weniger Probleme. Mir ging es eher um die Kreativität, möglichst schnell eine solide Antwort formulieren zu können).
Es klappte irgendwann ganz gut. Vor Gericht wurde ich gegenüber der Gegenseite etwas patziger, obwohl ich persönlich diesen Stil nicht leiden kann, er scheint sich unter Anwälten durchgesetzt zu haben. Dumme Sprüche von Kollegen oder allgemein im Leben kontere ich seitdem unter anderem mit einer meiner Lieblingsfloskeln:
„Können Sie mir das genauer erklären?“
Um etwas Abwechslung reinzubringen (nein, man kann leider nicht immer den gleichen Spruch bringen) gibt es auch mal:
„Ob Sie es glauben oder nicht: das war mein Plan!“, oder
„Das ist Ihre Meinung“.
Ich fühle mich damit wohl. Ich wollte mich nie auf ein freches, unprofessionelles Niveau herablassen, weil ich meine, kein Mensch hat respektloses Verhalten verdient. So bin ich aus meiner Sicht den eleganten Weg gegangen und ich gehe ihn bisher.*
Viele Menschen meinen, aus Höflichkeit oder um eine vermeintlich existierende Harmonie zu wahren, nicht sagen zu können, was ihnen auf den Lippen liegt. Man müsse es ja nicht noch schlimmer machen. Noch eins oben drauf setzen. Vielleicht war es von unserem Gegenüber auch gar nicht so gemeint? Und man muss ja auch nicht immer das letzte Wort haben. So kann man das sicher auch sehen.
Meine Erfahrung ist allerdings, dass es in dem Moment, in dem es gesagt wurde, auch immer so gemeint war. Die Menschen wenden sich allerdings kurzfristig von ihren Meinungen und Worten ab. Oder sie sind sich der Tragweite nicht bewusst – in ihrem eigenen kleinen Universum haben sie es aber genau so gemeint, wie sie es gesagt haben. In den Momenten, in denen wir uns eine passende Antwort wünschen, wurde die Grenze zur Harmonie überschritten. Unser Gegenüber hat bereits einen Angriff auf uns gestartet. Der Greis war voreingenommen und respektlos zu mir. Paul war ein Kollegenschwein, wollte mich als Neue im Team in die Schranken weisen. Warum also eine passende Antwort zurückhalten?
Für all diejenigen, die unsicher sind, schwanken und nicht wissen, ob es sich wirklich lohnt, mit einem flotten Spruch zu kontern, denen sei der Goldene Weg der Mitte ans Herz gelegt:
Schlagfertig zu sein bedeutet nicht, frech oder unhöflich zu werden. Schlagfertigkeit sollte so platziert sein, dass man seine Grenzen wahrt, dem Gegenüber zeigt „Bis hier hin und nicht weiter“. Wichtig ist, nicht auf das gleiche Niveau herab zu sinken, sondern über den Dingen zu stehen. Taktvoll und dennoch bestimmend zu bleiben.
Das muss nicht frech sein. Ein gut gewählter Spruch kann höflich, in neutraler Stimmlage wie folgt lauten:
- „Wenn ich Ihre Meinung hören will, dann werde ich sie Ihnen mitteilen.“ (Filmproduzent Samuel Goldwyn).
- „So reden Sie bitte nicht mit mir.“ (geht eigentlich immer – außer bei Paul und der Situation in der Teeküche)
- „Ja, ich habe studiert. Die Vorlesung `Reisemängel-Formulare` muss aber an mir vorbei gegangen sein (mögliche Antwort auf den Spruch von Paul, ich hätte doch studiert. Man nennt diese Taktik „Zustimmung“, wobei dem Angriff zugestimmt wird, er dann aber ad absurdum geführt, also etwas lächerlich gemacht wird.)
*Zugegeben, auch ich komme noch in Situationen, die so unterirdisch sind, dass ich sprachlos zurück bleibe:
Neulich bei einem Discounter-Supermarkt an der Kasse. Ich hatte keine Einkaufstüte dabei und hatte mein bisschen Obst und Brot daher in einem leeren Pappkarton gesammelt und in dem Karton zur Kasse getragen. Ich legte den Einkauf auf das Kassenband und stellte den leeren Karton an den Anfang des Bandes nach unten auf den Boden. Also dorthin, wo bei anderen Supermärkten die kleinen Einkaufskörbchen abgestellt werden. Hinter mir hatte sich ein älterer Herr eingereiht. Er beobachtete meine Handlung und blaffte mich an:
„Wat soll aus diesem Land nur werden? Haben se denn ja keene Manieren? Dahinten sind de Pappcontainer. Mann, mann, mann, sowat verzogenet, furchtbar. Arrogante Tussi.“
Er hörte gar nicht auf zu meckern. Ehe ich begriff, was er überhaupt von mir wollte, musste ich bezahlen und den Platz an der Kasse räumen. Dort fielen mir dann auch die von ihm erwähnten Pappcontainer ins Auge, die ich bis dato nicht kannte. Ich beschloss, meine Pappschachteln ab sofort „jut erzogen“ dort zu entsorgen, damit unser Land nicht den Bach runterjeht. Ein flotter Spruch an den Pöbler vom Dienst fehlte allerdings. Der mit der Bockwurst und dem Senf hätte hier gut gepasst, oder?
Wem was Tolles einfällt (keine Beleidigungen und keine bösen Wörter ;-), gerne über die Kommentarfunktion kreativ werden. Eure Vorschläge kommen dann auf meine Schreibtischunterlage.
Love, Vida.
Check:
Schlagfertigkeit ist gemäß Lexikon die Fähigkeit, schnell und mit passenden Antworten möglichst witzig auf einen Angriff zu reagieren. Schlagfertig zu sein bedeutet auch, wendig zu sein, Verbalattacken zu stoppen und sich selbst in ein gutes Licht zu rücken. Wer schlagfertig ist, gewinnt an Selbstbewusstsein und den Respekt seiner Mitmenschen. Man wirkt automatisch souverän. Schlagfertigkeit ist auch ein Denkpuzzle im Kopf, bei dem Schnelligkeit und Kreativität gefragt sind. Das lässt sich auf jeden Fall trainieren!
Hierzu gibt es tolle Literatur, Hörbücher und Übungstipps im Internet. Ich möchte keine Werbung für konkrete Produkte machen, daher nur so viel: schaut euch die verschiedenen Ratgeber an, wählt das Produkt, mit dem ihr gut arbeiten könnt. Ob ebook, Hörbuch, Skript, Checkliste oder Buch ist völlig egal. Ich meine, das Thema Schlagfertigkeit lässt sich ziemlich schnell in den Griff kriegen. Fertigt euch eine Liste mit euren Lieblingssprüchen an und sagt doch einfach mal, so aus dem Nichts heraus und nur zu Übungszwecken zu eurem Schatz, der nichtsahnend Spaghetti kocht:
„Daran wirst du dich gewöhnen müssen.“
Oder
„Welch toller Kommentar. Moment, das muss ich glatt aufschreiben.“
Nur Mut! Der nächste Klugscheißer ist bestimmt nicht weit.
Foto: (c) Daniel Graf, Berlin.