Was sind Zufälle und wieso ich nicht an Zufälle glaube.
„Du sagst jetzt bestimmt, es gibt keine Zufälle.“
„Stimmt“, antworte ich meiner Schwester und nippe an meinem Goldwasser. Danziger Goldwasser ist ein exzellenter Gewürzlikör, klar, süßlich-mild, die enthaltenen Flocken aus echtem Blattgold schweben in dem zarten Stielglas. Wie eine flüssige Praline im Mund, der Kellner hatte recht. Ich leere das Glas und lasse den Geschmack nachwirken. Es ist ein goldener Oktobertag, wir verbringen ein verlängertes Wochenende in der wundervollen Hafenstadt Danzig an der polnischen Ostseeküste. Die historische Altstadt hat uns heute schon mit viel Sonne, angenehm wenig Touristen und köstlich gefüllten Piroggen verwöhnt. Das Goldwasser bildet den runden Abschluss, bei dem sich dank einer zarten Benommenheit von Zunge und Geist leicht über Zufälle und Nicht-Zufälle debattieren lässt.
„Aber, wenn es kein Zufall ist, was ist es denn dann? Willst du sagen, ich habe das herbeigerufen?“, bohrt meine Schwester weiter und ich muss zugeben: das, was ihr passiert ist, grenzt einerseits an eine wundervolle und andererseits an eine etwas gruselige Begegnung.
„Ich bleibe dabei, es gibt keine Zufälle. Dafür ist das, was dir passiert ist, zu unwahrscheinlich, um ein Zufall sein zu können.“
„Aber, wenn nicht das Unwahrscheinliche den Zufall abbildet, was denn dann?“, insistiert sie und wir brechen auf, um ins Appartement zurück zu kehren.
„Mir ist letztens etwas Ähnliches passiert. Ich war wie jeden Donnerstag nach dem Fitnesskurs in der Sauna, und während ich dort lag und grübelte, was ich zu Hause kochen könnte, schoss mir ein anderer Gedanke in den Kopf. Ich fragte mich, welche Begegnung hier in der Sauna für mich wohl am unangenehmsten wäre. Wir wissen alle, Berlin ist ein Dorf und ständig trifft man irgendwen, den man privat oder beruflich kennt. Und ich brauchte nicht lange um festzustellen, dass es tatsächlich jemanden gibt, dem ich hier, in diesem privaten Szenario Fitnessstudio und Saune nur äußerst ungern über den Weg laufen würde. Der Gedanke war da. Er hatte sich in meinem Kopf gezeigt, ein Bild entstehen lassen und ich konnte ihn nicht mehr zurückholen. Was glaubst du wohl, was passiert ist?“
„Der Typ kam zur Sauna rein?“, sagt meine Schwester, tendenziös skeptisch. Ich muss lachen.
„Fast. Drei Tage später läuft exakt diese Person, die ich unter keinen Umständen dort treffen wollte, im Foyer des Fitnessstudios an mir vorbei. Ich hatte meine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ich glaube nicht, dass er mich erkannt hat. Aber ich wusste nun, dass meine Gedanken mich eingeholt hatten. Oder dass das Leben mir mit dieser Begegnung einen Hinweis geben wollte. Seitdem sehe ich ihn übrigens ständig.“
„Na gut, aber willst du mir jetzt sagen, du hast ihn herbeigerufen? Er war ja offensichtlich schon vor deinem Gedankengang Mitglied im Fitnessstudio. Also haben doch nicht deine Gedanken diesen Typen sichtbar gemacht.“
„Doch, natürlich. Ein Tag hat 24 Stunden, die Woche hat 7 Tage. Ich bin im Schnitt zweimal pro Woche vor Ort, pro Besuch vielleicht 2,5 Stunden. Also eine recht überschaubare Zeit. Und jetzt soll es sich um Zufall handeln, dass exakt dieser Typ, den ich von allen Menschen in Berlin auf keinen Fall treffen wollte, zu exakt der gleichen Zeit dort trainiert, wie ich?“
„Hm.“, macht meine Schwester und lässt den Gedanken sacken.
Mit dem Zufall verhält es sich so:
Wie immer gibt es, bedingt durch verschiedene Einflüsse und Lehren (Philosophie, Mathematik, Physik, Soziologie) verschiedene Definitionen für den „Zufall“. Aber um das Phänomen greifbar zu machen, eignet sich vermutlich die folgende am besten:
Per Definition handelt es sich um Zufall „wenn für ein Ereignis oder das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse keine kausale Erklärung gegeben werden kann.“
Wer hätte es gedacht, das ist die Definition von Wikipedia. Bezogen auf mein Ereignis im Fitnessstudio lässt sich damit noch nicht gut arbeiten, wie wäre es stattdessen hiermit:
„Ein seltenes, nicht vorauszusehendes Ereignis“.
Manchmal sind die Parameter bekannt, aber das Ergebnis ist nicht vorhersehbar oder beeinflussbar. Manchmal gibt es zwei identische Begebenheiten, aber diese stehen nicht in Verbindung miteinander. Oder etwas ganz Anderes passiert: eine Begebenheit entsteht, ohne eine erkennbare Ursache.
Jetzt könnte man einerseits sagen, dass es im Leben nicht immer eine Verbindung zwischen Ursache und Wirkung geben kann, sondern dass die Dinge einfach passieren. Und dass es außerdem Wahrscheinlichkeiten gibt, die zwar selten sind, aber dennoch vorkommen.
Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass sich tief diverse Ereignisse oft begründet anfühlen, auch wenn wir sie nicht erklären können. Wenn wir alle Vernunft und Rationalität bei Seite lassen, fühlen sich vermeintlich „zufällige“ Ereignisse in unserem Bauchhirn häufig nach einem „Grund“ an, andere nennen es „Schicksal“. Vielleicht zeigt sich der Grund oder die Bedeutung nicht klar vor uns, oder das Leben muss erst einige Schritte vorangehen, ehe wir erkennen, wofür das Ereignis ausschlaggebend war. Aber das Gefühl bleibt zurück. Und was passiert nun?
Die meisten Menschen lassen das Gefühl und die Begegnung fallen. Entweder, weil es ihnen zu anstrengend oder zu unheimlich ist, darüber nachzudenken. Andere sind schlicht nicht empfänglich für derlei Begegnungen, was nicht verwerflich, sondern einfach so in ihnen veranlagt ist.
Wenn wir uns die Zeit und den Mut zugestehen würden, über Zufälle nachzudenken, was könnten wir damit anfangen?
„Zufall ist der gebräuchlichste Deckname des Schicksals.“
(Theodor Fontane, 1819 – 1898)
Nach meiner persönlichen Ansicht (und es gibt auch andere Menschen, die fest davon überzeugt sind) bleibt das Gegenteil vom Zufall zurück: Das Karma.
Alles kommt zu dir zurück.
Andere nennen es Schicksal oder Fügung, Geistesblitz, Zeichen oder Wink des Schicksals. Schon mal darüber nachgedacht, woher die Lehre über das „Karma“ kommt? Weshalb manche Menschen fest daran glauben, dass jeder Gedanke, jede Handlung, jede Tat zu dir zurückkehrt?
Für mich ist es naheliegender, an Karma zu glauben, als an Zufälle. Denn in der Natur geschieht nichts rein zufällig, d.h. ohne einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Natur, Umwelt, Ökonomie. Pflanzen, Tierwelt, Leben. Alles ist wie in einem großen Orchester fein komponiert und hängt miteinander zusammen (bis der Mensch dazwischentritt und meint, alles besser zu wissen, aber das lassen wir jetzt mal außen vor). Warum sollten in diesem riesigen Netz zusammenhängender Vorgänge nun Dinge geschehen, die keinerlei Ursache haben?
Schicksal und Karma bedeuten, dass Wirkungen entstehen, deren Ursache ich nicht kenne. Aber nur, weil ich den Auslöser nicht sehen oder greifen kann, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt.
Im Leben passiert auf Ebenen, die wir noch nicht sehen oder erforschen können mehr, als man sich vorstellen kann.
„Nur Menschen, die nicht nachdenken wollen, beharren darauf, dass etwas Zufall ist.“
(Frank Wilde, Erfolgstrainer in „Beweg deinen Arsch“, 2007)
Auch dieses vorstehende Zitat habe ich nicht zufällig gefunden. Die Arbeit an diesem Blogbeitrag hat insgesamt zwei Wochen gedauert. Ich lasse meine Texte gerne nachreifen, lege sie zwischendurch für zwei bis drei Tage bei Seite, nehme mir stattdessen andere Texte vor und arbeite dann an ihnen weiter. Gestern Abend gegen 19.00 Uhr packte mich wieder einmal die Leselust. Meine abgespeicherte Leseliste im E-Reader wirkte irgendwie trostlos, also stand ich auf, stellte mich vor unser Bücherregal und überflog die Reihen meiner bereits gelesenen Bücher. Eines stach mir ins Auge.
„Beweg deinen Arsch!“, sage ich zu mir. „Schatz, wann habe ich das gelesen? Ach, warte mal. Da ist sogar eine Signatur drin, 2007“, sage ich und betrachte den Titel. Mein Mann schneidet sich in der Küche ein Stück Käse ab und nickt nur mit dem Kopf. Schaden kann es nicht, warum nicht ein zweites Mal lesen, denke ich mir und nehme das Buch mit ins Bett.
Welch „Überraschung“, dass der Autor dem Thema „Zufall“ in genau diesem Buch ein ganzes Kapitel gewidmet hat. Ich entdecke wundervolle Zitate zu dem Thema und Ausdrucksweisen, die mich in meinem Denken bestätigen. Ich schmunzele und denke an eben diesen Blogpost hier, der noch auf ein Ende wartet und etwas nachreifen muss.
Es gibt keinen Zufall. Ja, und nun?
Was soll ich mit den vorstehenden Ausführungen anfangen, werden sich einige Leser vielleicht fragen.
Nun, welchen Anstoß Sie als Leser hier mitnehmen, das bleibt selbstverständlich Ihnen überlassen. Slippery Thoughts ist ein Gedankenblog, der sich mit verschiedenen Begegnungen und Fragen des menschlichen Zusammenlebens beschäftigt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Sie diesen Artikel hier lesen? Vielleicht gibt es eine Begegnung, ein Szenario, ein Ereignis in Ihrem Leben, das eine Botschaft für Sie bereithält?
Seien Sie aufmerksam. Vielleicht treffen Sie nicht ohne Grund immer wieder den gleichen Nachbarn im Park beim Joggen. Vielleicht ruft Ihr Bankberater Sie nicht an, um Sie zu nerven, sondern weil er eine wirklich gute Idee für Sie hat? Öffnen Sie Ihre guten Gedanken. Der Rest kommt von allein.
Love, V I D A.
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Check:
Das Thema „Zufall“ lässt sich den Komplexen „Gesetz der Resonanz“, „Quantenphysik“, „Spirituelle Intelligenz“ und allgemein der Physik, Mathematik und Psychologie zuordnen. Insbesondere der Themenbereich „Gesetz der Resonanz“ wirkt in das hier beschriebene Phänomen hinein, weshalb der letzte Absatz oben in diese Richtung tendiert.
Sehr Nice! 🙂