
Neid. Über dieses Thema hatte ich mir unabhängig von C. vorgenommen, einen Beitrag zu verfassen. Die C. Krise hat mich jetzt jedoch fast täglich dazu gebracht, mich ungewollt mit dem Thema Neid beschäftigen zu müssen. Denn Corona kehrt Eigenschaften in uns und unserer Gesellschaft ans Tageslicht, die lange Zeit nicht derart präsent waren, wie in den letzten Wochen.
Plötzlich fragen sich die Menschen, warum der Friseur von gegenüber, der ja seit geraumer Zeit geschlossen haben muss, trotzdem jeden Tag in seinem Laden handwerkt. Oder warum er vor dem geschlossenen Laden auf der Bank sitzt und argwöhnisch zur Konkurrenz vier Häuser weiter rüber späht.
Plötzlich explodieren Gruppenchats, in denen die Frage gestellt wird, ob es „gerecht“ sei, dass wirklich jeder den staatlichen Zuschuss aka „Rettungspaket“ erhalten hat, ohne dass eine Bedürftigkeits- oder Plausibilitätsprüfung stattgefunden hat. Von der Studentin mit Nebengewerbe, über den Online-Coach bis hin zum Restaurant mit 15 fest angestellten Mitarbeitern. Einfach jeder hat das Rettungspaket erhalten. Ist das gerecht?
Oder ist allein die Frage allein von Neid durchtränkt?
Warum gibt es ihn überhaupt, den Neid? Hat sich jemand mal die Frage gestellt: wofür braucht der Mensch die Emotion „Neid“? Warum existiert sie in unserem Gefühlskatalog?
Grün vor Neid. Ein Stich im Herzen.
Neid entsteht dadurch, indem wir etwas bei anderen sehen und diesbezüglich bei uns selbst einen Mangel feststellen. Wenn wir mit diesem Mangelgefühl nicht konstruktiv oder liebevoll umgehen können, sondern das auch „wollen“, dann entsteht dieser kurze Blitz im Hirn, der uns anstichelt, die Situation als „ungerecht“ zu empfinden. Wir fühlen uns unterlegen. Oft erkennen wir diese spontane Gefühlsregung sogar körperlich, schämen uns ihrer und wollen sie nicht zulassen.
Oft geht es dabei gar nicht um „die Dinge“, die der andere hat, sondern um das Gefühl, das der andere ausleben kann, weil er es hat, erklärt der Neidforscher Ulf Lukan. Wir haben also in Wirklichkeit kein materielles Defizit, sondern ein emotionales, welches durch die spontane Gefühlsregung Neid an die Oberfläche kommt. Wir neiden dem anderen seine Emotion. Sorglosigkeit. Freude. Erlebnis. Liebe.
In der aktuellen Situation neiden Menschen und Branchen untereinander die kleinen Schritte zurück zur Realität, die der eine schon gehen darf, der andere noch nicht. Das ist absolut verständlich! Es bangen doch so viele Menschen und Unternehmen aktuell um ihre wirtschaftliche Existenz. Neid hat also auch etwas mit der Existenzsicherung zu tun, denn gut angelegt, kann sich Neid in Ehrgeiz verwandeln, etwas erreichen zu wollen. Je nach Veranlagung kann Neid aber auch in eine depressive, zurückgezogene Variante umschlagen. Wenn wir in der aktuellen Corona-Situation Fortschritte der anderen beneiden, hat das schlicht etwas mit unserer eigenen Unsicherheit und unseren Existenzängsten zu tun. Wir neiden den anderen die Emotion Hoffnung und Perspektive.
Je besser wir unsere mentalen Fähigkeiten im Griff haben, Gefühle, die uns nicht gut tun, vorbei ziehen zu lassen, umso schneller werden wir die Emotion Neid auch wieder los.
Dass der Neid aufploppt, dagegen kann man kaum etwas tun. Doch wenn wir ihn erkannt haben, ist es hilfreich, sich nicht daran fest zu saugen.
Bringen wir die mentale Kraft auf, den Neid ziehen zu lassen. Dies kann mit folgenden Affirmationen gelingen:
„Wenn es den anderen gut geht, wird es mir auch sehr bald gut gehen.„
„Wir alle müssen durch die Corona Krise durch. Die einen früher, die anderen etwas später.„
„Ich kann von den Erfolgen der anderen lernen.„
Ich schaue aus dem Fenster. Mittlerweile ist es nach Ostern und das rot-weiß-gestreifte Flatterband weht noch immer im Wind. Kinderspielplätze sind nach wie vor abgesperrt. Dennoch trauen sich einige Kinder auf Inlineskates auf die abgesperrte Spielfläche. Die Kinder huschen hin und her, Blicke gehen nach links, gehen nach rechts. Hat es jemand gesehen? Die Mütter stehen am Rand und wenden sich ihren Gesprächspartnerinnen zu. Es ist seit Tagen sonnig und angenehm, frühlingshaft warm. Ein Mann steht am Rand und fotografiert die von den Kindern in Beschlag genommene Spielfläche. Dann telefoniert er, wirkt hektisch. Er deutet während des Telefonats immer wieder auf die Spielfläche. Neid? Unverständnis? Angst vor einer zweiten Infektionswelle? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich die Kinder nicht beneide. Ich gönne ihnen den kurzen Ausriss in ein unbesorgtes Leben.
Wer weiß, ob sie sich später einmal an diese Zeit der Entbehrungen erinnern werden?
Love, V I D A.