Die Straßen sind fast wie leer gefegt, seitdem Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag ein erweitertes Kontaktverbot für die gesamte Bundesrepublik ausgesprochen hat. Von ihrem hellblauen Himmel aus überstrahlt die Sonne den gesamten Park am Gleisdreieck . Keine Wolken. Der Blick in den Park verrät weiter: viele halten sich an das Kontaktverbot. Aber was soll man machen? Kinder müssen irgendwann an die frische Luft und Spaziergänge sind weiterhin erlaubt.
Also wage ich mich vor die Tür. 14° Grad und Sonnenschein – es könnte uns dieser Tage härter treffen. Besser zwar auch, aber der Gedanke steht seit rund zwei Wochen nicht zur Debatte. Beschwingten Schrittes geht es in Richtung Jorckstraße zum Supermarkt. Der Spaziergang ist kurz genug, um den Einkauf nach Hause tragen zu können und gleichzeitig lang genug, um die Bezeichnung als „Spaziergang“ verdient zu haben. An der Yorckstraße ist es deutlich belebter, was aber an dem S-Bahn-Knotenpunkt liegt. Die Einkäufe sind schnell erledigt, gedankenverloren geht es zurück durch den Park.
Die Basketballfelder sind mittlerweile abgesperrt. Rot-weiß-gestreiftes Flatterband im Wind. Eine Sportlerin hat sich trotzdem ein Fleckchen in der Sonne gesucht, energisch reckt sie das Gesicht zum Himmel und den Hintern in die Hocke. Die schwarzen Leggins sitzen knalleng, dem bauchfreien Oberteil scheinen die 14° Grad nichts auszumachen. Eine Polizeistreife kommt aus dem Birkenwäldchen um die Ecke gefahren. Ich gehe weiter. Die Einkaufstasche wird doch schwerer, als ich dachte. Ich hebe sie mit beiden Händen von unten und trage sie wie einen Hundewelpen vor meiner Brust. Die Polizeistreife hat die Diskussion mit der Sportlerin beendet und fährt langsam neben mir her in Richtung Gleisdreieck. Auf der Beifahrerseite wird die Scheibe heruntergelassen. Ich stutze. Gilt das mir?
Polizeistreifen gab es auch schon vor der C.Krise am Gleisdreieck. Deswegen dauert es einen Moment, bis ich begreife, dass in diesem Falle ich gemeint bin und stehen bleiben soll. Einer der Polizisten, der Beifahrer steigt aus.
„Und was wollen Sie hier?“, fragt er mich, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich wissbegierig von oben bis unten. Trotz Sonnenbrille blinzele ich gegen das Licht.
„Ich habe eine Wassermelone getragen“, platzt es aus mir heraus.
Manchmal, ganz selten, sage ich das, was mir auf der Zunge liegt. In meiner Kindheit hat mich das hin und wieder in Schwierigkeiten gebracht und in meinen Zeugnissen war nicht selten zu lesen, dass ich frech sei. Ich dachte, ich hätte diesen Zug während der ersten deutlichen Ansage meiner Professoren in der Uni abgelegt. Das waren Ansagen wie: “ Und wenn Sie der Meinung sind, hier Kaugummi unter die Sitze kleben zu müssen, dann sind Sie hier falsch. Dann machen Sie besser eine Ausbildung zum Gebäudereiniger, das Jurastudium braucht so etwas nicht.“ Erste Vorlesung, erstes Semester, BGB 1. Ich erinnere mich bis heute, die Frechheit blieb mir im Halse stecken. Offensichtlich befördert die C.Krise nun doch an jedem von uns Seiten zu Tage, die wir noch nicht kannten oder in Sicherheit gewähnt haben.
„Denken Sie, dat hier is´n Film?“, fragt der („Officer“ im US-Film, aber das hier ist ja schließlich keiner) Polizist und zieht die Stirn zusammen. Ich schätze ihn auf Anfang 40. Dunkelblond, Gesicht leicht gebräunt. Offensichtlich war auch er letzten Monat Skifahren.
„Ich weiß nicht. Können Sie tanzen?“, frage ich weiter und ich weiß, noch während ich das ausspreche: verdammte Axt, jetzt ist das Maß voll.
Was soll ich machen? Das ist diese C.Krise. Sie treibt mich in den Wahnsinn. Jeden Tag diese Nachrichten. Ich gucke sie schon gar nicht mehr. Trotzdem ist mein Kopf voll mit Stimmen, die an mir zerren. Sie zerren an meinen Gedanken, wollen dich in die eine oder andere Richtung treiben, du sollst dir eine Meinung bilden! Mal hängt gestreiftes Flatterband am Spielplatz, mal nicht. Mal benutzen sie das Wort „Ausgangssperre“, dann heißt es wieder „Kontaktverbot“. Mal sind Mütter mit kleinen Kindern schier hysterisch, mal sitzen sie hier, genau hier nebeneinander im Park und genießen die Sonne. Alles unter dem Motto: „Marloooon…. du sollst doch bitte Abstand halten!“ Soll ich nun in meine Armbeuge niesen oder wohin mit meiner Pollenallergie? Ich weiß es nicht mehr. Und ich bin es auch Leid. Ich wollte die ganze Sache ehrlich aussitzen. Einkäufe im Supermarkt Ja. Videoabende mit Hinz und Kunz Nein. Nett sein zu Kassiererinnen Ja. Nett sein zu Polizisten…. auch Ja.
Ich lächle besonders breit.
„Sorry, ich war einkaufen. Es gibt Gemüse und ein Curry.“
Der Polizist winkt ab, steigt ein, die Streife fährt weiter. Ich rolle für mich selbst mit den Augen und watschel mit meiner Wassermelone nach Hause.
Good to know:
Der Dialog hat so nie stattgefunden, der Einkauf schon. Die Streife ist an mir im Park vorbeigefahren und ich habe mich gefragt, was ich antworten würde, würde ich in diesen Zeiten angehalten und nach meinen Wegen befragt. Der Dialog hat sich in meinem Kopf entsponnen, allein meiner eigenen Unsicherheit geschuldet. Ich kenne solche Zeiten nicht. Ich erinnere mich zwar, dass wir in Kleinmachnow an der Grenzkontrolle standen, wenn wir West-Berlin verlassen haben, um zu Oma und Opa nach Bayern zu fahren. Und ich erinnere mich auch, dass Fragen gestellt wurden. Mein Leben hat das nicht mehr geprägt. Ich bin in Freiheit aufgewachsen.
Ein weiterer Gedanke der mich bis nach Hause begleitet hat, war einem Sprichwort geschuldet.
„Wenn du jemanden halten willst, lass ihn gehen.“
Ich habe das Gefühl, dass diese Zeiten uns erst voneinander entfernen, um uns dann enger aneinander zu schweißen. Tief in mir habe ich die Hoffnung, dass wir so wieder mehr Verständnis füreinander entwickeln. Dass Kunden gegenüber ihren Dienstleistern wieder gnädiger sind. Und dass manch Dienstleister sein Gebaren den Kunden gegenüber vielleicht überdenkt. Dass wir Angehörige nicht als „bucklige Verwandtschaft“ bezeichnen sondern froh sind, mit jedem einzelnen bei Wassermelone und Grillwurst bzw. Grillkäse im Garten sitzen zu können.
Love, V I D A