Befragt man Freundeskreis, Arbeitskollegen, Familie und Bekannte nach den Gründen für das Scheitern von Freundschaften und Beziehungen fällt häufig das Wort „Neid“. Sie war neidisch auf …. die Beziehung der Freundin, das Haus, den Garten, die gut erzogenen Kinder. Designerpumps im Schuhschrank sollen gelegentlich ebenfalls ihr nötiges zum Thema beitragen.
Und vielleicht hat man selbst es auch schon gespürt, diesen Stachel im Innersten, irgendwo zwischen Kehlkopf und Bauchnabel sticht oder flammt er kurz auf. Die meisten Menschen können Neid körperlich spüren, das Unwohlsein lokalisieren. In der Regel verbindet sich das Neidgefühl schnell mit einem Beigeschmack von Scham, denn neidisch zu sein gilt gemeinhin nicht als erstrebenswerte Eigenschaft oder Emotion.
Aber warum ist das so? Ist Neid per se etwas Schlechtes, oder kann er uns nicht helfen, verborgene Wünsche zum Vorschein zu bringen? Vielleicht spornt er uns sogar an, Dinge zu erreichen, macht aufmerksam und gibt Anschub?
Darf ich vorstellen? Der NEID
Neid setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen und ist eine unserer komplexesten Emotionen. Sie enthält Bausteine wie Enttäuschung, Traurigkeit, aber auch Ärger, Wut und Missmut. Bei wem welche Komponente überwiegt, hängt stark von der individuellen Prägung und den eigenen Glaubenssätzen ab, mit denen man lebt. Bei mir persönlich würde ich der Traurigkeit in Zusammenhang mit Neid eine verstärkte Rolle einräumen. Nachdem sich das Reisen trotz und mit Corona in den letzten Wochen etwas lockerer gestaltete, wagten viele den Schritt und setzten sich in den Flieger oder in den Zug, um alsbald dem wohlverdienten Tapetenwechsel entgegen zu reisen. Ich war an dieser Stelle nicht flexibel oder mutig genug, was sich nun vermutlich rächen wird. Die Virusvariantengebiete könnten vielen Reisewilligen, so auch mir, noch diesen Sommer einen Strich durch die Reisepläne machen. Dieses Wissen im Hinterkopf bin ich aktuell recht neidisch, wenn ich Urlaubsfotos von denjenigen sehe, die die Gelegenheit beim Schopfe gepackt haben, um schnell an den Gardasee zu fahren. Und während ich mich mit den Recherchen zu diesem Artikel beschäftigt habe, ist mir klar geworden, dass der Neid und die Emotionen, die während des Gedankens „Urlaub“ durch mich hindurch fahren, derart vielschichtig sind, als dass es regelrecht unfair dem Neid gegenüber wäre, ihn einfach nur als Negativbegriff abzustempeln. Denn überwiegend bin ich schlicht und ergreifend traurig. Traurig darüber, dass das Reisen nun doch wieder komplizierter wird. Enttäuscht über mich selbst, bei den ersten Lockerungen nicht einfach ins Auto gen Süden gestiegen zu sein. Auslöser dessen war jedoch der Vorbote „Neid“ und ich bin froh, ihn kennen gelernt zu haben, doch nun weiter in der Theorie.
Neid kann nämlich auch seine guten Seiten haben. Er kann den Ehrgeiz anfachen, uns mobilisieren, genau das, was der andere schon hat, erreichen zu wollen. Das ist das, was kommerzielle Werbung mit uns macht. Sie stimuliert das Begehren, mit den anderen „gleichzuziehen“. Der Nachbar hat einen neuen Fernseher? Nichts leichter als das! Eine hervorragende Idee, jetzt zur Fußball-EM technisch aufzurüsten. Auf das selbe Prinzip setzt Influencer Marketing. Konsum ist natürlich kein schönes Beispiel für die positiven Eigenschaften des Neid, wie wäre es also mit den bekannten „Ellenbogen“ im Job? Der Kollege erhält eine Bonifikation für besonders herausragende Leistungen? Der Neid kann an dieser Stelle dafür sorgen, mobil zu machen, loszulegen: was muss ICH tun, um auch eine Bonifikation zu erhalten?
Wer sich hingegen darüber empört, dass der Kollege eine Bonifikation erhalten hat, man selbst jedoch nicht, derjenige nutzt die Triebfeder Neid nicht optimal aus. Denn wie wir auf unsere Emotionen reagieren, können wir immer selbst entscheiden. Habe ich den Neid auf die Bonifikation des Kollegen erkannt, kann ich:
a) traurig sein, resignieren
b) empört sein, rumtoben und meckern
c) mich auf den Weg zur eigenen Bonifikation machen
Welchen Weg man einschlägt, hängt u.a. davon ab, was man sich selbst zutraut (Selbstvertrauen) und welchen Weg man einschlagen will. Der Umgang mit Neid zeigt also viel über die eigenen Charakterprägungen. Wie viel traue ich mir selbst zu? Bin ich in der Lage, mich zu reflektieren und dem Neid etwas Positives abgewinnen zu können?
„Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen.“
Und jetzt?
Wie bei allen Themen im Leben kommt es auch beim Neid auf die richtige Dosis an. Ist man derart neidisch, als dass daraus eine überragende, tiefe Traurigkeit oder Aggression oder Depression wird? Dann müssten irgendwann die Alarmglocken angehen, damit der Neid nicht zu viel Schaden anrichtet. Bei allen anderen, die den Neid hin und wieder erkennen, kann es hilfreich sein, ihn innerlich zuzulassen, kurz zu analysieren und sich zu hinterfragen: Warum fühle ich mich jetzt so? Was könnte dahinter stecken? Ich bin neidisch auf den neuen Minivan einer Arbeitskollegin, aber halt! Die Frau hat ja auch drei Kinder und einen Golden Retriever, der von A nach B gefahren werden will. Das ist doch gar nicht mein Leben! Bin ich wirklich neidisch auf die Pläne einer Bekannten, die mit einem riesigen Kreuzfahrtschiff drei Wochen lang durch die Karibik schippern will? Nein, in Wirklichkeit nicht. Das Vorhaben klingt spannend, aber auf Schiffen wird mit ständig übel, umwelttechnisch kann ich dem aus persönlichen Überzeugungen auch nicht beipflichten und ich weiß nicht, ob ich mich drei Wochen lang mit tausenden von Menschen auf engstem Raum umgeben möchte.
Einmal analysiert, ist der vermeintliche Neid verschwunden. Er hinterlässt Interesse und Neugierde, von dem Stachel in der Körpermitte ist nichts mehr zu spüren.
So, wie in den vorangegangenen Beispielen kann es auch bei anderen, inneren Neid-Debatten hilfreich sein, die eigenen Emotionen zu hinterfragen, ohne sich ihrer schämen zu müssen.
Dies dürfte für all jene interessant sein, die dazu tendieren, bei aufkommendem Neid zu pöbeln und zu meckern. Und auch innerlich dicht machen ist genau das, weshalb so viele Freundschaften und liebevolle Begegnungen am Neid scheitern können.
Ich wünsche euch allen einen offenen und liebevollen Umgang mit eurem vermeintlichen Neid.
Love, V I D A