
Kommunikation. Aussprache. Streitkultur. Bereinigendes Gespräch. Miteinander zu sprechen und Konfliktpunkte oder Ereignisse nicht unter den Teppich zu kehren, gilt gemeinhin als der heilige Gral für gesunde Beziehungen, die möglichst lange halten sollen. Und dabei ist es ganz egal, um welche Art Beziehung es sich handelt. Miteinander „Dinge zu klären“, bevor sich die Fronten verhärten, ist auf Partnerschaften, die Familie, die Nachbarschaft, Kollegen, auf jegliches Miteinander übertragbar.
Ich persönlich schwöre auf den Grundsatz:
„Konflikte sind dafür da, um sie zeitnah aus der Welt zu schaffen.“
Das ist eine meiner Prämissen. Einer meiner Lebensgrundsätze.
Einerseits. Andererseits gibt es Themen, bei denen ich festgestellt habe, dass irgendwann genug gesprochen wurde. Und es gibt auch Themen, die von Anfang an nicht kommunizierbar sind, weil sie Wunden aufreißen würden, die schädlicher wären, als es die Beziehung im Ganzen, die mich mit diesem Menschen verbindet, vertragen würde. Manchmal steht das Leben im Hier und Jetzt, das gemeinsame Genießen unverfänglicher Gegenwärtigkeit über den Themen, die gemäß der Kommunikationslehre bereinigt werden sollten.
Wer diesen Blog kennt der weiß, man kann die Dinge so sehen. Oder auch mal anders.
In diesem Artikel geht es um den anderen Blickwinkel auf Kommunikation und Konflikte. Ich möchte hier den Versuch wagen, entgegen aller Weisheiten à la „man muss über alles reden können“ die andere Seite der Medaille zu beleuchten. Diese andere Seite steht im Dunkel und wird gerne ignoriert. Es ist die Seite der Kommunikation, die mehr schadet, als nützt. Dass es eines klärenden Gespräches manchmal nicht bedarf und wann besser geschwiegen, denn Aussprache geführt werden sollte – darum soll es hier gehen.
Das klärende Gespräch – Basics
Im besten Falle werden bei einem klärenden Gespräch beide Positionen ausgetauscht, Emotionslagen erörtert und gleichzeitig gemeinsame Verbesserungsideen kreiert, damit so etwas in Zukunft möglichst nicht noch einmal passiert. Es geht also um die Feststellung des Status Quo (das hat mich verletzt …. hier habe ich mich ungerecht behandelt gefühlt …usw); eine kurze Begründung, damit der andere weiß, was genau Ursache dessen war (vor dem Hintergrund meiner Bemühungen um …, hat es mich traurig gemacht, dass …. oder: gerade weil ich immer sehr darauf achte, fand ich es schade, dass ….) und im Abschluss einer Zielidee (ich würde mir wünschen, in Zukunft ….. unsere Beziehung ist mir wichtig, ich muss mich daher darauf verlassen können, dass….).
Das wäre etwa in einem Mediationsgespräch ein runder Abschluss einer Aussprache. Doch machmal kommt es eben anders.
Wir haben uns ausgesprochen – ohne Ergebnis
„Sägen Sie kein Sägemehl“
(Dale Carnegie in Sorge dich nicht – lebe!)
Eigentlich steht das Zitat in einem anderen Zusammenhang, nämlich in Verbindung mit sich Sorgen machen über längst Vergangenes, aber ich finde, der Gedanke hinter dem Zitat passt auch zu hiesigem Thema.
Denn häufig ist es so, dass eine Aussprache stattfindet, die Parteien also miteinander sprechen, gleichwohl nicht zum gewünschten Ergebnis kommen. Während meiner Zeit als Anwältin ist mir bei der Vertretung von Gesellschaftern in Gesellschaftsstreitigkeiten aufgefallen, dass die Parteien vor der Zuhilfenahme eines Anwalts bereits alles miteinander rauf und runter diskutiert und besprochen hatten. Nur ohne Ergebnis. Beiden Parteien waren die Sichtweisen des jeweils anderen bekannt – und trotzdem wurde Sägemehl gesägt.
Solche Fälle sind wie dafür geschaffen, um ab einem gewissen Punkt von jeglichen weiteren „Aussprachen“ abzusehen und den Blick nach Vorne zu richten oder (letzte) gemeinsame Ziele miteinander zu vereinbaren, z.B. offene Positionen auszugleichen (Geld, To Doˋs, Güteraustausch) oder um als gemeinsames Ziel den Blick nach Vorne zu vereinbaren, um die Energie in eine gemeinsame Zukunft und Rettung der Beziehung zu investieren.
Im besten Falle kommen natürlich beide Seiten zu dem Ergebnis, das genug gesprochen wurde. Damit der Blick nach Vorne wirklich gelingt, müssen beide Seiten mit dem „Schwamm drüber“ einverstanden sein, sonst ist der Frieden nur kurzfristig ausgehandelt.
Es kann jedoch auch zu Situationen kommen, in denen der eine nur vorgibt, noch Sprechbedarf zu haben, um in Wirklichkeit sein Gegenüber immer wieder oder endgültig von seiner Meinung überzeugen zu wollen. Das ist dann keine Kommunikation mehr, sondern manipulativ. Hier spielt das Ego demjenigen, der angeblich Sprechbedarf hat, einen Streich.
Das toxische Gespräch
Wer vorgibt, sich aussprechen zu wollen, um in Wirklichkeit immer wieder nur seine Sicht der Dinge zu präsentieren, seine eigene Meinung klarzustellen oder um sein Gewissen reinzuwaschen, derjenige nutzt das Mittel des Konfliktgespräches (in der Regel unbewusst) für sich selbst, um mit sich und seinem Ego wieder im Reinen zu sein. Im schlimmsten Falle wird das Gegenüber als seelischer Mülleimer benutzt, der andere „kotzt“ sich richtig schön aus, und verkauft das unter dem Schlagwort „klärendes Gespräch“.
Eine Aussprache ausschlagen
Wenn man eine Ahnung davon hat, dass die Bitte um ein klärendes Gespräch in diese Richtung gehen könnte oder wenn man aus der Vergangenheit bereits weiß, dass Gespräche in diese Richtung verlaufen, dann darf man den Wunsch nach einem klärenden Gespräch ausschlagen, um sich selbst zu schützen.
Das ist die zweite Konstellation, in der ich die Auffassung vertrete: genug gesprochen!
Das bedeutet nicht, dass die Beziehung damit den Bach runter geht oder aufgegeben werden muss, ganz im Gegenteil. Es gibt Beziehungen, die leben von dem gegenwärtigen Moment, den man miteinander hat. Oder von gemeinsamen Erinnerungen, die noch immer der Klebstoff des heutigen Miteinanders sind. In Wirklichkeit hat man sich jedoch voneinander emanzipiert und lebt ohne Verdruss nebeneinander und/oder miteinander. Es gibt Beziehungen, die ziehen ihre Schönheit aus dem Moment; sie sind jedoch nicht dafür gemacht, Wind und Wetter standzuhalten und das ist auch in Ordnung! Nicht jede Freundschaft oder Beziehung muss den Anspruch haben, alle Strapazen dieser Welt aushalten zu müssen. Wenn es so ist – fein. Wenn nicht – genieße die positiven Momente, die diese Beziehung dir trotzdem gewährt und gut ist!
Der aller perfekteste Weg wäre hier natürlich dem anderen auch zu sagen, WARUM das klärende Gespräch abgelehnt wird. Wenn man etwa in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit dieser Person in klärenden Gesprächen gemacht hatte, dann wäre es am fairsten, das auch zu sagen. Allerdings wird das dazu führen, dass der andere sich noch mehr in die Ecke gedrängt fühlt und in Verteidigungshaltung geht – hier tritt das Ego wieder hervor und stellt sich beschützend vor die vermeintlich abgewiesene Person.
Ist es in solchen Beziehungen wirklich nötig, Gespräche einzugehen, die Potential haben, mehr zu schaden, denn zu nützen?
Man könnte jetzt die Auffassung vertreten: ja, es ist nötig, alles zu klären. Alles andere wäre unaufrichtig und keine Basis für ein weiteres Miteinander. Auch wenn das Gespräch für eine Seite unangenehm werden kann.
Andererseits kann man auch (je nach Thema, Person und Einzelfall) getrost sagen „Schwamm drüber“. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort: „Eine kluge Frau sieht alles und übersieht vieles„. Gerade dann, wenn man sich selbst mit dem toxischen Gespräch schaden würde, darf man auch mal davon absehen.
Aber Vorsicht: dieses Stilmittel der Gesprächsumgehend darf nicht ausufernd oder in verdrängender Weise genutzt werden! Hier gilt es, Augenmaß zu beweisen und sich nicht selbst zu verleugnen. Man muss mit der Entscheidung „Schwamm drüber“ absolut im Reinen sein, nur dann handelt es sich um fair play und um eine gesunde Entscheidung. Es darf dabei auch nicht dazu kommen, dass man Dinge für sich behält, die aber in Wirklichkeit an einem nagen. Denn so etwas kommt früher oder später immer raus und wird der andere dann doch irgendwann damit konfrontiert, ist der Wunsch nach einem Gespräch unfair.
„Warum hast du das nicht viel früher gesagt?“
Wenn man nicht der Typ ist, der die Dinge WIRKLICH im Geiste abhakt, sondern seicht unter der Oberfläche mit sich herumträgt, dann schadet man sich und anderen, wenn man schweigt.
Fassen wir zusammen:
- Sägen Sie kein Sägemehl! Irgendwann wurde genug gesprochen.
- Toxische Gespräche dürfen abgelehnt werden. Lassen Sie sich nicht als Mülleimer benutzen oder als Aufbaumittel für andere Egos.
- Beweisen Sie Fingerspitzengefühl. Gespräche auszuschlagen sollte nicht die Norm – sondern Ausnahme bleiben.
Habt ihr schon einmal ein klärendes Gespräch ausgeschlagen und wenn ja, wie habt ihr euch dabei gefühlt? Ich freue mich über eure Kommentare. Wenn ihr immer auf dem Laufenden bleiben wollt, abonniert diesen Blog. 100% werbefrei. Eine Gedankensammlung für jeden von uns.
Love, VIDA.