
Sollte man eine zu lockere Freundschaft aufgeben oder beibehalten?
Die ehemalige Lerngruppe aus der Uni meldet sich. Alle drei bis vier Monate das gleiche Spiel. Einer aus der Gruppe fragt nach einem Feierabendtreffen im Biergarten. Der Sommer sei doch endlich da. Das müsse man ausnutzen. Außerdem habe man sich doch seit Monaten nicht mehr gesehen.
Und nun? Ich schaue vom Smartphone auf, blicke nach draußen. Das Wetter ist traumhaft. Ja, es ist Biergartenzeit. Aber es ist eben auch meine Zeit. Ich gehen nach der Arbeit zum Sport, fahre gerne raus zum Schlachtensee und gehe laufen. Oder ich treffe mich mit einer meiner Schwestern zum Abendessen. Oder ich muss die Wäsche machen, putzen und einkaufen gehen. Ich grübele hin und her, das Gefühl ist mir bekannt. Einerseits ist gegen ein Feierabendtreffen nichts einzuwenden und natürlich ist es schön, dass der Kontakt zur ehemaligen Uni-Clique nie abgerissen ist. Wir haben gemeinsam eine echt harte Zeit durchgemacht, diszipliniert für das erste Staatsexamen gelernt, uns gegenseitig abgefragt, zum Verzweifeln und auch zum Lachen gebracht. Eigentlich war es eine konsequente Mischung aus beidem. Und Zeit für ein Biergartenbier hat man ja irgendwie immer. Jede andere Behauptung wäre glatt gelogen.
Nach dem Examen lief man sich dann mal hier, mal dort über den Weg. Man erkundigt sich nach dem beruflichen Werdegang, freut sich miteinander über die Verlobung des jeweils anderen und falls man davon hört, dass irgendwo in Berlin Mitte ein drei-Zimmer-Wohnung mit Balkon und neu gemachten Fenstern frei wird, gibt man selbstverständlich Bescheid. Und hey, klar! Irgendwann wäre es mal wieder an der Zeit, die Uni-Clique auf ein Bier zusammen zu holen. Die Wege trennen sich wieder. Und deswegen ist es so schwer zu sagen, ob ich diese seltenen, unregelmäßigen Treffen wirklich feiere, oder nicht.
Man könnte nun meinen, dass es doch schön sei, über so lange Zeit in Kontakt geblieben zu sein. Dass es nie schaden könne, Menschen um sich zu haben, die einen schätzen und mit denen man Zeit und Erinnerungen teilt. Dass man ja schließlich nie wisse, wofür der eine oder andere Kontakt nicht doch noch nützlich sei.
Und wenn dem so ist, warum zögern dann die meisten Menschen, wenn es darum geht, mit einer lockeren Freundschaft ein Date auszumachen? Warum denkt sich insgeheim jeder Zweite: „Verdammt, eigentlich sind die Treffen immer nur so semi interessant und spaßig.“
Weil die lockere Freundschaft eben auch ein Zeiträuber in der Gegenwart sein kann. Weil wir mit der lockeren Freundschaft in erster Linie das eine befeuern: die Vergangenheit. Uns hat mal etwas miteinander verbunden. Davon zehren wir noch heute. Nur im Heute haben diese lockeren Freundschaften eigentlich keinen echten Platz. Wir laden diese lockeren Freundschaften nicht an Weihnachten zu uns nach Hause ein. Wir fahren nicht zusammen in den Urlaub, wir gehen nicht gemeinsam ins Kino, ja, wir würden nicht einmal sonntags zusammen über den Flohmarkt bummeln.
In Wirklichkeit ist es nichts Halbes und nichts Ganzes.
Wie man damit umgeht, ist typenabhängig. Es gibt Menschen, die hängen an jedem Kontakt in ihrem Leben (Expartner, ehem. Lehrer, alte Ärzte, Babysitter). Sie haben lieber etwas Halbes in ihrem Leben, als garnichts. Sie spüren den Verzicht nicht gerne. Somit verzichten sie auch nicht auf Menschen in ihrem Leben, mit denen sie eigentlich nur eines verbindet: die Vergangenheit. Und irgendwie mag man sich ja auch.
Und dann gibt es Menschen, die brauchen´ s entweder ganz oder gar nicht. Die möchten den vollen Kontakt, alles andere ist ihnen zu anstrengend. Denn was wissen diese Halbkontakte eigentlich über mein aktuelles Leben? Macht es Sinn, ihnen von meinem letzten Umzug zu berichten oder vom Badeurlaub auf Ibiza? Klar, ist doch schön solche Kontakte zu haben, sagen die einen. Oberflächliches Geplänkel, nennen es die anderen.
Aber hat man es verdient, in „halbe“ oder „ganze“ Freundschaft kategorisiert zu werden?
Die Herausforderung ist, dass das Leben diese, vielleicht auch unbewusste Zuordnung, von selbst erschafft. Indem es passiert. Manche Menschen werden zu Freunden. Die man eben sehr wohl an Weihnachten zu sich nach Hause einladen würde. Mit denen man Möbel zusammen baut, das Kürbisfest besucht oder eben einfach ins Kino geht. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Menschen, mit denen man entweder einen äußerst prägenden Lebensabschnitt verbracht hat, etwa die Schulzeit. Oder es sind Begegnungen, die einem so sehr ans Herz wachsen, dass der Alltag diese Verbindung nicht entzweien kann. Und wieder andere bleiben Verbindungen in und aus der Vergangenheit, die sich hier und da in die Gegenwart einschleusen. Wir trinken mit ihnen Bier, vielleicht gehen wir einmal im Jahr zusammen brunchen. Und dann gibt es noch diese Bekannten. Man läuft sich über den Weg, sagt Hallo und Tschüss, hast du schon meinen Großen Sohn kennen gelernt? Ach, du hast jetzt einen Hund? Alles Gute!
Es fließt so dahin. Alles, was Mehr sein soll, erfordert Zuwendung. Viel Zuwendung und Zeit.
Ich für meinen Teil möchte ganz genau wissen, bei wem ich woran bin. Wie viel soll ich investieren? Ich investiere nicht gerne umsonst. Entweder, die Menschen möchten Teil meines Lebens sein und ich soll Teil ihres Lebens sein, wir bringen uns gegenseitig ein. Ansonsten muss ich niemandem alle vier Monate auf den neuesten Stand meines Daseins bringen.
Das Bedürfnis nach lockeren Freundschaften ist in mir persönlich nicht veranlagt.
Das festzustellen, ist interessant und wirft konsequenter Weise die Frage auf, wie ich in Zukunft mit den Anfragen in Sachen „Feierabendbier“ umgehen werde.
Ich fasse es so zusammen:
Es gibt Bekanntschaften, die möchten ausschließlich über sich selbst reden, oder sie nörgeln ständig oder hinterlassen auf andere Weise kein gutes Gefühl bei mir. Oder sie möchten Dinge in Erfahrung bringen, gleichzeitig halten sie selbst sich aber äußerst bedeckt. Hinzukommen die unzuverlässigen, die entweder jedes Date sowieso mindestens zweimal verschieben oder stets 20 Minuten zu spät kommen.
Mit solchen Menschen halte ich es nicht aus. Ich nehme solche Verabredungen nicht mehr an.
All jene, die ich als angenehme Zeitgenossen empfinde, bei denen ich nicht das Gefühl habe, meiner Zeit beraubt zu werden, bei denen soll es mir egal sein, ob wir uns nun alle vier Monate sehen und dies auch nur, um eine Verbindung zur Vergangenheit aufrecht zu erhalten. Gute Gefühle sind mir in meinem Leben stets willkommen.
Es kommt also nicht auf die Kategorie an, sondern auf das Gefühl, das die Menschen bei dir hinterlassen. Wenn du eine Bekanntschaft oder ein intervallartiges Treffen als anstrengend oder ungemütlich empfindest, lass es bleiben. Wende dich deinem Leben zu.
Oder um es mit Seneca zu sagen:
„Niemand darf mir da einen Tag rauben; es kann mir ja doch niemand etwas geben, was solchen Verlust ausgliche.“
Entscheide selbst, welche Begegnungen dein Leben bereichern, und welche nicht.
Oder wie stehst du dazu? Lohnt es sich, Kontakte aufrecht zu erhalten, weil ein Leben ohne Freundschaften, gleich welcher Art, zu farblos wäre?
Ich freue mich über eure Kommentare dazu.
Love, V I D A.