Jemand bittet um finanzielle Unterstützung. Wo Hilfe zur Selbsthilfe beginnt und wo wir andere nur von uns abhängig machen, damit beschäftigen sich diese Gedanken.
„Kannst du mir da helfen?“
Fünf einfache Worte, die tief ins Mark dringen und keinen von uns kalt lassen. Der innere Drang, sofort das Portemonnaie zu zücken und wie selbstverständlich die erforderliche Hilfe anzubieten, schiebt sich in den Vordergrund. Wir werden emotional. Mensch sein. Helfen. Andere aus ihrer Notlage befreien.
Doch was ist der Unterschied zwischen helfen, andere hilflos machen oder sich ausnutzen zu lassen?
Um den Konflikt zu verdeutlichen, steigen wir in dieses Gedankenkarussell mit einem bemerkenswerten Zitat des Stoikers Seneca (Werk ca. 58 n.Chr.) ein:
„(…) ; dem einen steuere ich bei, weil er es wert ist, dass ihn die Armut nicht herunterbringe und niederdrücke, andern gebe ich nichts, obwohl sie Mangel haben, weil sie doch nie aus dem Mangel herauskämen, auch wenn ich ihnen gäbe; manchen werde ich eine Unterstützung anbieten, einigen sogar aufdrängen.“ (Seneca, Vom glückseligen Leben, 24., ca. 58 n. Chr.)
Darf man beim Helfen tatsächlich einen Unterschied machen?
Jeder, der schon einmal in der Situation war, jemand anderem finanziell unter die Arme zu greifen weiß, wie schön es sein kann, diese Hilfe auch wirklich leisten zu können. Im besten Falle geht es darum, für einen überschaubaren Zeitraum eine überschaubare Summe Geld zu borgen. Etwa weil der andere auf eine BAföG-Zahlung wartet, die sich krass verzögert. Oder weil Unvorhergesehen eintrat, eines zum anderen kam. Auto kaputt, Job verloren, der Urlaub musste bezahlt werden. Das kann jedem passieren.
Einfach ist die Sache mit dem „finanziell unter die Arme greifen“ dann, wenn vereinbart wird, dass das Geld bis zum Zeitpunkt X zurück zu zahlen ist. Und wenn sich der Schuldner dann auch an die Vereinbarung hält.
Zwischenmenschlich schwieriger wird es schon dann, wenn die Frage nach dem „kannst du mir bitte bis Mitte nächsten Monats Geld leihen?“, immer wieder oder regelmäßig auftaucht, begleitet von: „Ich kann wirklich nichts dafür, schuld sind xyz…. „
Zwischenmenschlich noch komplexer wird die Sache, wenn es um mehr geht, als um 500 Euro. Wenn der andere, der um Hilfe bittet, seine Situation außerdem selbst verschuldet hat oder sich sehenden Auges immer wieder selbst in die Situation bringt.
Gibt es einen Unterschied, ob ich jemandem helfe, der wirklich nichts für seine Situation kann? Fällt meine Entscheidung zu helfen, anders aus, wenn der andere teilweise oder weit überwiegend selbst Schuld an seinem Dilemma ist? Hält man es wie Seneca und wenn ja, wo macht man denn den Unterschied?
Hier gibt es also verschiedene Positionen. Die einen sagen, wer Hilfe braucht, dem wird Hilfe gewährt. Gerade im Familien- und Freundeskreis verbiete sich die Frage nach der „Schuld“.
Eine andere Ansicht wäre zu sagen, man hilft und unterstützt, aber nur soweit, wie der andere selbst Schuld an seinem Dilemma ist. Indem man etwa nur ein mal Geld leiht und dann nie wieder.
Eine dritte Position könnte sein zu meinen, finanzielle Unterstützung gäbe es ausschließlich in Form von Beratung, Unterstützung bei der Erstellung eines Haushaltsbuches, eines Insolvenzplanes etc. etc. Hilfe zur Selbsthilfe eben. Die Vertreter dieser „harten“ Ansicht argumentieren damit, dass es demjenigen, der sich selbst in die Notlage gebracht haben auf Dauer nichts nütze, immer nur das Feuer gelöscht zu bekommen. Solche Kandidaten müssten lernen, Verantwortung zu übernehmen und selbst für ihr Handeln einzustehen.
Eine verzwickte Situation.
Leser dieses Blogs wissen, dass ich mehrere Geschwister habe. Ich bin die Älteste und ich fühle mich natürlich ein Stück weit geehrt, wenn mich meine Geschwister um Rat fragen oder auch mit der Bitte um Unterstützung auf mich zukommen. Das zeugt von Vertrauen, was mir schmeichelt. Auch mein Mann hat mehrere Geschwister, die hin und wieder, das ist ganz natürlich, um Hilfe bitten.
Um den hier besprochenen Konflikt zu veranschaulichen, ein Beispiel:
Geschwisterkind A bat uns um finanzielle Unterstützung in Höhe von mehreren hundert Euro. Es ging um die Finanzierung einer Anreise zu einem Workshop für Hobby-Autoren innerhalb Europas. Wir wollten den Wunsch sehr gerne unterstützen und der vermeindlichen Autoren-Karriere nicht im Wege stehen, erlaubten uns gleichwohl die Nachfrage, warum die Person nicht einen kleinen Nebenjob hatte, um sich genau für solche Anliegen etwas dazu zu verdienen? Die Antwort lautete, das Studium sei aktuell zu zeitintensiv, ein Nebenjob nicht so einfach unterzubringen.
Ok. Kann man so stehen lassen, entspricht allerdings nicht der Studenten-Realität in einer Großstadt wie Berlin, in der es unzählige flexible Studentenjobs gibt. Anyway. Mein Mann und ich verbuchten das Geld für den Workshop unter „Spende“ und hakten die Sache ab. Wir fassten jedoch auch den Beschluss, Faulheit, Einfachheit und Unvermögen anderer in Sachen „Finanzen“ in Zukunft nicht einfach hinzunehmen und zu zahlen! Ab sofort sollte unsere Prämisse lauten:
„Wie können wir dir dabei helfen, einen Weg zu finden, benötigtes Geld selbst zu erarbeiten? Welche Unterstützung brauchst du, um finanziell nicht auf andere angewiesen zu sein?“
Denn: unser Geschwisterchen hatte es selbst versäumt, den Alltag so zu organisieren, dass ein Nebenjob sehr wohl durchführbar gewesen wäre. Unser Geschwisterchen hatte es versäumt, kreativ zu werden um nach Lösungen zu suchen, wie man trotz eines anspruchsvollen Studiums etwas Geld dazu verdienen könnte.
Ein wenig Unerfahrenheit, etwas Faulheit und ein Funken Überforderung eines unserer zig Familienmitglieder hatten dafür gesorgt, dass mein Mann und ich uns die Frage stellen mussten: wie wollen wir in Zukunft mit solchen Fragen aus dem Familien und Freundeskreis umgehen?
Können wir Unterschiede zwischen Notlage, nicht so schlimmer Lage oder selbst verschuldeter Notlage machen?
Ein anderes Beispiel:
Ein Bekannter, der beruflich einige Ups and Downs erlebt hatte, fragte meinen Mann nach Geld, um die nächste Stromrechnung zahlen zu können. Wir wussten, dass er seit Wochen auf die Bezahlung einer seiner Projektarbeiten wartete, sein Kunde zögerte die Zahlung raus. Wir wussten aber auch, dass trotz seiner finanziell unsicheren Situation ein neuer Smart-TV, neue Turnschuhe und regelmäßige Besuche in Clubs und Bars drinn gewesen sind.
Mein Mann rückte die Kohle nicht raus. Er bot seinem Bekannten an, ihn bei der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs gegenüber dem Kunden zu unterstützen. Mehr aber auch nicht.
Rational betrachtet verstehe ich die Entscheidung. Trotzdem geht sie mir menschlich nahe. Es macht mich einerseits sauer, dass die Person nicht vorausschauend kalkuliert und geplant hatte, um wenigstens während der finanziell unsicheren Zeit auf Konsum zu verzichten.
Andererseits ist mir klar, dass es die Menschen heutzutage, in Zeiten von Krediten, 0-Prozent-Finanzierungen und Lockangeboten umso schwerer haben, zu verzichten. Und dass ein Kunde nicht zahlt – hätte man damit wirklich rechnen müssen? Ja, meint mein Mann. Das gehöre zum wirtschaftlichen Risiko in der Selbstständigkeit mit dazu.
Gibt es keine Faustformel, mit der dieses Dilemma des menschlichen Zusammenlebens nicht umgangen werden kann? Doch, die gibt es!
Eine einfache Regel lautet: gib nicht mehr aus, als du verdienst.
Wenn sich alle daran halten würden, gäbe es wohl einige unangenehme Situationen im Freundes- und Familienkreis weniger. Und wir müssten unsere Gedanken in allen anderen Fällen nur noch mit der Frage bemühen: wer kann etwas für seine Situation und wer nicht ?
Love, V I D A
Sehr gelungen 🙂 Toll, weiter so!!!